Keimzelle Ruhrort • 300 Jahre Hafen in Duisburg

Blick auf Ruhorter Hafen

Europas größter Binnenhafen feiert Geburtstag. 1716 im heutigen Stadtteil Ruhrort gegründet bescherte er dem damals eigenständigen Städtchen einen rasanten Aufschwung. Ende der 1950er Jahre begann der Niedergang. Heute erfindet sich der Ort neu und setzt vor allem auf die Kreativszene. Ein Ortsbesuch.

Als am 16. September 1716 der Ruhrorter Magistrat den Bau eines Hafens beschloss, konnte er nicht ahnen, dass er damit den Grundstein für Europas größten Binnenhafen legte. Er wusste nicht, dass sich Ruhrort in den folgenden zwei Jahrhunderten zum florierenden Handelsplatz entwickeln würde und musste nicht mit ansehen, wie die Kohle-und Stahl-Krise ab Mitte des 20. Jahrhunderts die gesamte Region in einen Strukturwandel zwang, der bis heute nicht abgeschlossen ist.

Ruhrort hat ihn schmerzhaft zu spüren bekommen. Leere Ladengeschäfte in den Seitenstraßen gibt es noch immer, heruntergekommene Häuser, die seit Jahren verwaist sind. Und doch putzt sich der Stadtteil heraus, will den einstigen Wohlstand wieder glänzen lassen und zeigt in der Altstadt architektonisch ein erstaunlich geschlossenes Bild. Viele der reich verzierten Gründerzeitfassaden sind inzwischen restauriert, Parkanlagen in Schuss gebracht, historisierende Laternen aufgestellt, die Hafenpromenade gestylt.

Schiff an Schiff im Duisburger Hafen um 1920
Der Duisburger Hafen im Jahr 1920

Dies alles folgt einem Masterplan von 2009, der von der Stadt Duisburg und den lokalen Wirtschaftsunternehmen Haniel, Duisburg Hafen und Gebag initiiert wurde, um die Halbinsel im Rhein wieder zum attraktiven Wohn- und Arbeitsort zu etablieren.

Dennoch: Die Zeit um 1900, als es in Ruhrort eine höhere Millionärsdichte gab als in Berlin, man feudal einkaufen konnte und die neuste Mode bekam, ist passé. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als am Neumarkt, dem zentralen Herzstück des Bezirks.

Frau Itze zapft an

Es gab Zeiten, da tobte das Leben auf dem Neumarkt. Heute parken dort Autos, außer an den Markttagen. Aber auch dann sind es nicht mehr als drei bis vier Gemüsestände, die Waren anbieten. „Früher war der gesamte Platz belegt, jetzt ist es trostlos“, sagt Gerda Verbeck, besser bekannt als Frau Itze.

Frau Itze hinterm Tresen
Schifferkneipe „Zum Itze“

Genannt wird sie so seit 1984, als sie mit ihrem Ehemann die Traditionskneipe „Zum Itze“ am Neumarkt übernahm. „Im Laufe der Jahre ist es immer weniger geworden, auf dem Markt und bei uns“, sagt die 76jährige, die nach dem Tod ihres Mannes vor zwei Jahren allein hinter dem Tresen steht.

Seit ihrer Eröffnung um 1900 hat die Schänke bessere Zeiten gesehen. Schnell wurde sie zweite Heimat für Hafenarbeiter, Matrosen, und Kapitäne. Es war die Zeit des legalen und illegalen Handels in Ruhrort.

Spediteure, Schiffseigner und Schiffer feilschten auf offener Straße um Frachten, Löhne und Aufträge. Arbeiter kamen aus dem benachbarten Holland oder Belgien, heuerten in Ruhrort an oder siedelten gleich ganz über. Ruhrort boomte.

Mit der Eröffnung der Schifferbörse im Jahr 1901 sollte der Handel von der Straße geholt und illegale Kungeleien unterbunden werden.

Ruhrorter Schifferbörse am Hafen
Schifferbörse am Hafen

Es geht bergab

Ein erster Rückschlag dann in den 1950er Jahren. Auf dem Rhein wurde die Schleppschifffahrt weitgehend eingestellt, man setze fortan auf die weniger personalintensive und kostengünstigere Schubschifffahrt. Dennoch bestimmte der Hafen weiterhin das Leben.

Auch „Zum Itze“ war bis in die 1980er Jahre eine Schifferkneipe. „In unserer Telefonzelle wurden Geschäfte abgewickelt und im Regal daneben die Post für die Schiffer gelagert“, erzählt Frau Itze. Eintöpfe hat sie für die Gäste gekocht, bis sich das irgendwann nicht mehr gelohnt hat.

Aus der legendären Telefonzelle ist Stauraum für Staubsauger und Putzmittel geworden, die Glasvitrine beherbergt Schiffsmodelle statt Briefe. Optisch jedoch scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Historische Fotos unter der Decke erinnern an den lebendigen Hafenort, das wilde Konglomerat aus Schifferutensilien sind Requisiten aus besseren Zeiten.

Rettungsring und Graf Luckner Mütze
Erinnerung an bessere Zeiten

Geblieben sind einige Stammkunden, die Frau Itze die Treue halten und fast jeden Tag vorbeischauen. Man kennt sich und achtet aufeinander; Lebensgeschichten, über Jahre beim Bier an der Theke  erzählt, schweißen zusammen.

„Zu Fußballspielen, dem jährlichen Hafenfest und Karneval ist es hier voll wie früher“, sagt Wirtin Verbeck, „dann unterstützt mich meine Tochter. Doch ansonsten ist es ruhig“.

Schimmi ohne Ende

Vorbei auch die Zeiten in denen Ruhrort als das St. Pauli des Ruhrgebiets galt. Zwar kursieren noch immer Geschichten um die fromme Tante Olga, die in der Fabrikstraße eine Beat- und Rock-Kneipe betrieb und stundenweise Zimmer vermietete, doch zu sehen ist davon nur noch eine säuberlich restaurierte Fassade.

Letztes, bundesweit bekanntes Raubein war Götz George, alias Tatort-Kommissar Horst Schimanski, der in den 1980er Jahren in Ruhrort drehte. Auch bei Frau Itze.

Jacke hängt in Schimis Stammkneipe
Schimmi ist weg, die Jacke blieb

Tatortfans buchen heute Stadtführungen, die an die Drehorte führen. Ob zu Fuß, per Rad oder Motoryacht, Schimmis Erbe wird konserviert und kann bestaunt werden. Eine Straße hat man inzwischen nach ihm benannt, in seiner Stammkneipe „Zum Anker“, die heute „Café Kaldi“ heißt, erinnern Schimmi-Jacke und Currywust auf der Speisekarte an den Kommissar.

Kreativmotor Kulturhauptstadt

Als 2010 Essen und das Ruhrgebiet europäische Kulturhauptstadt wurden, setzte der Ruhrorter Konzern Haniel alles daran, den Hafen als Kulturhafen europaweit bekannt zu machen.

Zahlreiche Veranstaltungen fanden statt, vor allem aber wurde mit dem Kreativquartier Ruhrort eine Plattform für Künstler, Kulturschaffende, Bürger und Unternehmen geschaffen, die ein gemeinsames Ziel hatten: einen lebens- und liebenswerten Bezirk zu schaffen und eine neue Kreativszene anzusiedeln.

Von Anfang an unterstützte Haniel das Projekt und bot der Initiative mit dem Kauf des Gemeindehauses Ruhrort im Jahr 2012 eine Heimat mit Veranstaltungsräumen.

Fassadengestaltung von Graffiti-Künstler Thomas Baumgärtner
Fassadengestaltung von Graffiti-Künstler Thomas Baumgärtner

Malermeister Dieter Siegel-Pieper war von der ersten Stunde dabei. Als überzeugter Ruhrorter, der den Malerbetrieb seiner Familie in der dritten Generation führt, kennt er die wechselvolle Geschichte des Bezirks. Studiert hatte er Bildende Kunst in Hamburg, doch als er das Geschäft von seinem Vater übernehmen sollte, ging es zurück nach Ruhrort.

Geblieben ist die Begeisterung für die Künste. Der heute 76jährige ist nicht nur leidenschaftlicher Kunstsammler, sondern zeigt mit seinem Bananenhaus auch Kunst am Bau.

„2001 habe ich auf der Art Basel den Kölner Graffitikünstler Thomas Baumgärtner kennengelernt und schnell entstand die Idee, etwas Farbe in die Straße zu bringen“, erzählt er.

Also wurde Baumgärtner angeheuert, die Fassade mit seinen berühmten Bananen zu verzieren. „Damals war das ein Aufreger, doch als die Fassade nach drei Tagen fertig war, gab es sogar einen Festakt mit Bürgermeister zur Einweihung“. Heute gehört das Bananenhaus zu den Sehenswürdigkeiten in Ruhrort.

In den noch unsanierten Seitenstraßen ist das Engagement des Kreativquartiers zu sehen. Kleine Galerien öffnen und Künstler verlegen ihre Ateliers in leerstehende Ladengeschäfte. Theater- und Musikfestivals, Kunstproduktionen und Lesungen sind inzwischen etabliert und erobern den öffentlichen Raum. Es herrscht Aufbruchstimmung in Ruhrort.

Klares Statement in Ruhort
Klares Statement in Ruhrort

Das Vakuum, durch die Krise der Schwerindustrie entstanden, soll jetzt durch Kultur gefüllt werden.

Zum 300. Hafengeburtstag hat die Duisburg Hafen AG Ruhrort eine Markus Lüpertz-Skulptur spendiert.

Die zehn Meter hohe Bronze-Büste heißt „Das Echo von Poseidon“ und wurde kürzlich von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der Mercatorinsel vor 200 Gästen enthüllt. Ruhrorter waren nicht geladen.

Der Meeresgott Poseidon soll die ankommenden Schiffe begrüßen, so die Idee. Möge er es auch weiter gut meinen mit Ruhrort.

  • Pegel Ruhort in Duisburg
    Zeigt den Flusspegelstand an und ist Wahrzeichen von Ruhrort

Fotos: Tourismus NRW, Duisport AG, Bettina Hagen

INFOS

Essen & Trinken

Zum Itze, Neumarkt 3, 47119 Duisburg

Schifferkneipe mit Kultcharakter

Café Kaldi, König-Friedrich-Wilhelm-Straße 18, 47119 Duisburg

Ehemals „Zum Anker“ und Stammkneipe von Tatort-Kommissar Schimanski

Zum Hübi, Dammstraße 27, 47119 Duisburg

Außenterrasse mit Hafenblick, Eventlocation

Sehenswert

Museum der Deutschen Binnenschifffahrt

Untergebracht in einem restaurierten Jugendstil-Hallenbad wird die Schifffahrts-Geschichte von der Steinzeit bis zur Gegenwart auf drei Etagen multimedial und mit detailgetreuen Modellen erzählt.

www.binnenschifffahrtsmuseum.de

Sightseeing

DU Tours – Kult-Touren in Duisburg

Touren durch Ruhrort – von „Schimmi“ bis zum „Kneipen-Kiez“

www.du-tours.de

Weitere Duisburg-Infos

www.duisburgkontor.de

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