Wildpferde • Umstrittenes Rodeo im Münsterland

Am letzten Samstag im Mai findet im Westfälischen Dülmen alljährlich ein Rodeo statt. Das Spektakel ist zum Volksfest geworden und zieht weit über 20.000 Besucher aus dem In- und Ausland an. Tierschützer kritisieren die Veranstaltung schon lange als Quälerei. Auch diesmal wird es Protestaktionen geben.

Es ist der Augenblick auf den alle gewartet haben. Ein herannahendes Donnern ist zu hören, die Erde fängt an zu beben, eine dicke Staubwolke kündigt sie an. Dann galoppieren sie mit Vollgas in die Arena, etwa 400 freilebende Wildpferde mit wehenden Mähnen und fliegenden Hufen.

Die Köpfe weit nach vorne gestreckt drehen sie unter dem Tosen der Zuschauer einige Runden, bevor sie langsam ruhiger werden und sich der Staub über der ungewohnten Szenerie lichtet. Es herrscht Ausnahmezustand im Merfelder Bruch bei Dülmen, jedes Jahr am letzten Wochenende im Mai.

Wildpferde in Dülmen
Europas einzige Wildpferdeherde

Auf sich gestellt

Es klingt bizarr, mitten in Deutschland, nicht weit entfernt vom dicht besiedelten Ruhrgebiet gibt es ein 400 Hektar großes Naturreservat, in dem Europas einzige Wildpferdeherde beheimatet ist. Ein weitläufiges Wald-, Moor- und Heidegebiet, das dem Gestüt ideale Lebensbedingungen bietet.

Und das mindestens seit 1313, dem Jahr, in dem die Dülmener Wildpferde erstmals urkundlich erwähnt wurden. Dass die Pferde über die Jahrhunderte nicht ganz der menschlichen Besiedlung weichen mussten, ist vor allem den Herzögen von Croÿ zu verdanken. Sie ließen die Tiere einfangen und boten ihnen mit der Wildpferdebahn am Merfelder Bruch eine neue Heimat.

Dort sind sie sich selbst überlassen und finden in Eichen- und Nadelwäldern ausreichend Nahrung und Unterschlupf bei widriger Witterung. Keine Impfung, kein Tierarzt, kein Hufschmid, mit Krankheiten und Geburten müssen sie ohne menschliche Hilfe zurechtkommen und unterliegen damit dem natürlichen Selektionsprozess.

Wird zu Fall gebracht - das Wildpferd
Mann gegen Pferd

Hengste müssen raus

Einmal im Jahr hat die Herde dann doch engeren Kontakt zu den Menschen. Die einjährigen Hengste werden eingefangen, um das unkontrollierte Wachstum der Population sowie Inzucht und Rangkämpfe zu vermeiden.

Nur ein Deckhengst darf in der Herde bleiben. Im Anschluss werden die robusten etwa 1,35 Meter großen Ponys als Freizeitpferde versteigert. Die Fänger sind allesamt junge Männer aus der Region, traditionsgemäß in schmucken blauweißgestreiften Hemden und roten Halstüchern bekleidet.

Unter Applaus ziehen das sie in die Arena ein. Dann ist Kraft, Mut und Geschicklichkeit gefragt, denn den Tieren wird bloßen Händen, ohne weitere Hilfsmittel ein Halfter umgelegt. Kein leichtes Unterfangen, die scheuen Hengste denken gar nicht daran, sich kampflos abführen zu lassen, werfen ihre Vorderläufe in die Höhe und versuchen auszubrechen. Also wird jeweils ein Tier separiert, in eine Nische gedrängt, mit geschulten Handgriffen zu Fall gebracht.

Gezähmtes Wildpferd
Das Halfter ist angelegt

Tierschützer protestieren

Genau gegen dieses Procedere protestieren die Tierschützer. Die Verletzungsgefahr sei zu groß, außerdem setzte die gesamte Veranstaltung die sensiblen Tiere unter enormen Stress. Ganz anders sieht das der Herzog von Croÿ als Veranstalter. Er lässt die Fänger vorab von einer Tierärztin schulen, sodass sie die besonders empfindlichen Stellen der schützen können. Außerdem würden die Einnahmen der Veranstaltung für die laufenden Kosten der Herde benötigt. Und natürlich habe diese über 100jährige Fangart inzwischen eine regionale Tradition.

Am Münsterländer Rodeo scheiden sich die Geister. Es ist ein Kampf zwischen Tradition und Tierschutz. Sicher ist, dass die ansonsten eher verschlafene Region von dem Event profitiert. Die Hotels sind lange vorab ausgebucht und die Pferderegion Münsterland profitiert von einem Imagegewinn. Die Frage ist wie lange noch?

Wieder sind Demonstrationen angesagt. Die Tageszeitung Ruhnachrichten hat in einer Leserabstimmung gefragt, ob der Wildpferdefang verboten werden solle. Knapp 40 Prozent sprachen sich dafür aus. Doch auch in diesem Jahr wird die Erde beben, wenn die Herde nach dem Rodeo in vollem Galopp aus der Arena zurück in die Freiheit stürmt. Zurück bleibt nur eine riesige Staubwolke.

INFOS

Die Wildpferdebahn liegt rund zwölf Kilometer westlich von Dülmen an der Rekener Straße, die von Dülmen Merfeld nach Borken führt. Fünf Kilometer westlich von Merfeld gibt es eine beschilderte Zufahrt. Von Anfang März bis zum 1. November ist die Wildpferdebahn bei gutem Wetter an Wochenenden und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr für Besucher geöffnet. Besuchergruppen können nach vorheriger Anmeldung an einer Führung teilnehmen.

Wildpferde 080

Fotos: Bettina Hagen