Zwei wie Jod und Schwefel • Das Wunder von Bad Wiessee

Das einst mondäne Bad Wiessee am Tegernsee kämpft wie viele andere Kurorte um Gäste. Doch im scharfen Wettbewerb hat Bad Wiessee ein Ass im Ärmel: Seit mehr als hundert Jahren sprudelt dort Deutschlands stärkste Jod-Schwefel-Quelle.

Wer die Lobby des Jod-Schwefel-Bads in Bad Wiessee betritt, wird den ersten Eindruck so schnell nicht vergessen. Ein beißender Schwefelgeruch schlägt einem entgegen, der an faule Eier erinnert und erste Fluchtgedanken auslöst. „Man gewöhnt sich daran“, sagt der technischer Leiter Lorenz Biller. „Ich rieche es gar nicht mehr“.

Und tatsächlich, nach und nach verflüchtigt sich der Geruch, je weiter man durch das Gebäude geht. Seit über 20 Jahren arbeitet Biller in der Anlage und kennt sie wie seine Westentasche. Oft führt er interessierte Gäste herum, zeigt ihnen die Therapieräume und erklärt, weshalb sich der entzündungshemmende Schwefel und das durchblutungsfördernde Jod gut für die Linderung von Haut- und Augenleiden, bei Atemwegserkrankungen und Rheuma eignen.

Die Sole befindet sich 630 Meter unter der Erde
Fördert 19 Grad warme Sole ans Tageslicht

Frisch gezapft

Auf besonderen Wunsch darf man sogar einen Blick in den Förderturm werfen. Tag für Tag wird dort aus 630 Meter Tiefe 19 Grad warme Sole mit einem ph-Wert von 8,2 bis 8,5 ans Tageslicht gepumpt. Durch luftdichte Pipelines fließt sie in Container, um für die medizinischen Anwendungen frisch abgezapft zu werden.

Der außergewöhnlichen Jod-Schwefel-Konzentration ist es zu verdanken, dass der Ort schon 1922 mit dem Prädikat „Bad“ ausgezeichnet wurde. Seitdem wird die Heilkraft der jod-, schwefel- und fluoridhaltigen Natrium-Chlorid-Quellen für die Therapie genutzt.

Das Wunder von Bad Wiessee

Im frühen 15. Jahrhundert wurde der Tegernsee für seine Bodenschätze bekannt. Damals machte ein Benediktinermönch auf dem See eine seltsame Entdeckung. Dunkel-glänzend war das Wasser an einigen Stellen, als ob eine zweite Schicht darauf läge. Er ging der Sache nach und seine Untersuchungen führten ihn an das Westufer des Sees, in die Nähe des Ortes Wiessee. Dort stieß er auf eine Ölquelle, die für die Verfärbungen im Wasser verantwortlich war. Die Quelle wurde nach dem heiligen Quiriunus, dem Schutzpatron des Klosters benannt.

Schnell schrieb man dem Öl eine besondere Heilkraft zu und gab es unter dem Namen „Oleum Sancti Quirini“ zur Behandlung von Beschwerden an die Bevölkerung ab. Ein gedruckter Beipackzettel informierte über Ursprung und Anwendung.

Und plötzlich war in der gesamten Region von Wunderheilungen die Rede, die die Behandlung mit dem Tegernseer Öl bewirke. Blinde, die plötzlich wieder sehen konnten und andere phantastische Geschichten zogen sogar Menschen aus Südtirol und Böhmen an. Noch bis ins frühe 18. Jahrhundert glaubte man die Heilkraft des Wunderöls. Mit der Aufklärung und der Säkularisation brach eine neue Zeit an, das Öl wurde als profanes Erdöl deklariert, doch nach wie vor als Arzneimittel verkauft.

Sole wird gefördert
Kein Erdöl, dafür Sole

Kein Texas in Bayern

Um das Jahr 1900 erreichte den holländischen Geschäftsmann Adrian Stoop die Nachricht über die Tegernseer Ölfunde. Er witterte ein Geschäft, kam nach Wiessee und ließ Bohrungen im großen Stil durchführen.

Doch statt auf Öl stieß er in etwa 700 Meter Tiefe auf einen Strudel mit übelriechenden Erdgasströmungen. Durch Zufall hatte er die stärkste Schwefelquelle Deutschlands entdeckt, die Ölquellen hingegen waren versiegt.

Zunächst konnten sich die Einheimischen für den stinkenden Fund nur wenig begeistert. Erst als ein ortsansässiger Arzt nach Untersuchungen die heilendende Wirkung des Wassers erkannte, die Sole professionell gefördert und 1910 die ersten Quellenbäder in Holzbottichen verordnet wurden, schloss man seinen Frieden.

Der Jet-Set reist an

In den nächsten Jahren erlebte der Ort einen rasanten Aufschwung. Ein Badehaus mit zwölf Kabinen entstand und die Zahl der verabreichten Bäder, Inhalationen und Trinkkuren stieg sprunghaft. Selbst in den Jahren des ersten Weltkriegs konnten sich die Anwendungen von 9270 pro Jahr auf 17409 fast verdoppeln.

Steiler Aufschwung als Kurort
Bad Wiessee wird mondän

Seine Blütezeit erlebte der Ort in den dreißiger Jahren. 1935 verzeichnete man bereits 160.000 Behandlungen. Das Badehaus wurde um eine Wandelhalle und einen Theatersaal erweitert, Bad Wiessee avancierte zum mondänen Kurort für Adel, Prominenz und Besserbetuchte.

Jod-Schwefel heute

An einigen Stellen ist er noch zu sehen, der Glanz von damals. Wenn man durch die Wandelhalle spaziert, die jetzt als frei buchbare Eventlocation dient oder auf der breiten Terrasse unter alten Bäumen sitzt und auf den See schaut.

Oder, wenn der Blick auf die alten Uhren an den Türaußenseiten der Wannenkabinen fällt, die per Hand knarzend aufgezogen werden und für die Einhaltung der Badezeiten sorgen. Als 2010 anlässlich des 100. Geburtstags das Jod-Schwefel-Bad komplett modernisiert wurde, hat man sie bewusst behalten – aus Tradition.

Badet der Kurgast heute in der gräulichen Jod-Schwefel-Sole, liegt er in einer speziell geformten Wanne, die als besonders kreislaufschonend gilt. Oder er sitzt im Sprühbad und lässt warmem Jod-Sole-Dampf auf sich wirken. Ein leichter Geruch von Paraffin schleicht durch die Kabinen und erinnert daran, dass Bad Wiessee ja ursprünglich die bayrische Antwort auf Texas werden sollte.

Erdöl verfärbt das Solebad
Rückstände des Erdöls hinterlassen einen Film auf der Haut

Tatsächlich sind es Rückstände des Erdöls, die mit der Sole gefördert werden und auf der Haut einen angenehmen Film hinterlassen. 20 Minuten dauert ein Bad, dazu kommt die Nachruhzeit von einer halben Stunde, zu der man noch feucht in Laken und Decke eingewickelt wird.

„Das ist wichtig“, sagt Betriebsleiter Kaiser, „denn in dieser Zeit wird der Schwefel weiter vom Körper aufgenommen“. Nach sechs bis acht Bädern könne man mit einer nachhaltigen Wirkung rechnen.

Ehrgeizige Pläne

Doch mit dem verblassten Charme der Vergangenheit kann es ein schnelles Ende haben, denn es wird derzeit über eine komplette Neukonzeption des gesamten Areals diskutiert. Investoren wurden gesucht, entstehen sollen ein neues Jodbad sowie ein Hotelkomplex mit angeschlossenem Medizin-Zentrum. Der erste Spatenstich ist für Mitte 2016 geplant.

Es wirkt ein bisschen als würde das Jod-Schwefel-Bad derzeit aus einem Dornröschenschlaf erwachen und sich wieder auf seine Stärken besinnen. Werden jetzt die Weichen richtig gestellt, kann es ein Schritt in eine bessere Zukunft sein.

Fotos: Gesundheitszentrum Jodschwefelbad GmbH
Foto Förderpumpe: Bettina Hagen

INFOS
Gesundheitszentrum Jodschwefelbad GmbH

Adrian-Stoop-Str. 37-47
83707 Bad Wiessee
Tel. 08022 86080
www.jodschwefelbad.eu