Ayurveda • Nichts für Feiglinge

Das südindische Kerala gilt als die Wiege des Ayurveda. Die Angebote sind vielfältig – von sanften Wellnessbehandlungen bis zur strengen Kur. Letzteres ist nicht immer angenehm.

„Lass Deine Welt zurück“, mit diesen Worten werden Gäste im Ayurveda-Zentrum Kalari Kovilakom in der Provinz Palakkad begrüßt. Das fällt erstmal nicht schwer, denn der ehemalige Königspalast der Vengunard Dynastie liegt zwischen Reisfeldern und Kokospalmen und wirkt mit seiner prunkvollen Architektur und dem zehn Hektar großen Garten wie Relikt aus Zeiten der Maharadscha.

Und das, obwohl es nur ein Nebengebäude des urpünglichen Palastes ist, der einzige Teil, der vor dem Verfall noch zu retten war.

Heute eine Ayurveda-Klinik
Säulengang im ehemaligen Königspalst

Doch der glänzende Marmor, die dunklen sorgfältig verzierten Holzsäulen und die bunten Fresken lassen erahnen, wie die Anlage aus dem 19. Jahrhundert ausgesehen haben muss.

Eintauchen in eine andere Welt, in ein Leben zwischen Askese und Luxus, das lernen die Gäste in der klösterlichen Atmospäre des Palastes.

 

Heilkunst und Lebensweise

Der südindische Bundesstaat Kerala gilt als die Geburtsstätte der ayurvedischen Heilkunst. Sie wird seit Jahrtausenden dort praktiziert und auch heute werden Patienten nach ihren Regeln behandelt. Doch zunehmend setzen Inder, insbesondere die Mittel- und Oberschicht in den Großstädten, auf moderne Schulmedizin und Pharmazie.

Umgekehrt ist es in den westlichen Ländern. Dort wird die reine Gerätemedizin immer häufiger in Frage gestellt, alternative Therapie- und Behandlungformen mit ganzheitlichem Ansatz verzeichnen seit Jahrzehnten einen Boom.

Und nicht wenige machen sich auf den Weg in den Süden Indiens, um dort authentisches Ayurveda zu erleben.

Heute findet man in Kerala oder Goa fast an jeder Straßenecke Ayurveda-Angebote, von Stirngüssen, über Öl- bis hin zu Synchronmassagen. „Ayurveda-to-go“, die schnelle Entspannung nach dem langen Flug oder anstrengendem Sight-Seeing.

Doch Ayurveda, wörtlich übersetzt die Lehre vom Leben, ist weit mehr als sanfte Streichelmassagen – es ist traditionelle indische Heilkunst und Lebensweise in einem.

Im Kalari Kovilakom wird beides nach strengen Regeln praktiziert. Deshalb darf sich die Einrichtung seit drei Jahren offziell auch Krankenhaus und Gesundheitszentrum nennen.

Zwischen den Behandlungen ist Entspannung angessagt

Zeit des Verzichts

Gäste, die einen Aufenthalt im Kalari buchen, suchen genau diese Erfahrung. Zum Bespiel die ältere Dame aus Düsseldorf, deren kaputtes Knie schulmedizinisch austherapiert ist und die sich Linderung ihrer Beschwerden erhofft.

Oder eine junge Frau aus der französischen Schweiz, die ohne Schlafmittel nachts nicht zur Ruhe kommt und Kettenraucherin ist.

Beide haben vorab einen ausführlichen Amnamesebogen ausgefüllt, sind am Tag ihrer Ankunft mit bunten Blumenketten und erfrischendem Kokoswasser begrüßt wurden und tauschten ihre private Kleidung gegen ein weißes lufitges Yogaoutfit.

14 Tage bleiben sie, kürzer wird erst gar keine Kur angeboten. In dieser Zeit darf das Gelände nicht verlassen werden, es gibt weder Fernseher noch Radio, Zucker, Fleisch, Alkohol, Kaffee und Nikotin sind ebenfalls tabu.

Auch Yoga-Lehrer müssen praktizieren

Ayurvedische Lehre

Weshalb das so ist, erklärt Chefarzt Jouhar Kanhirala, einer der vier praktizierenden Ayurveda-Ärzte, seinen Gästen bei der Erstuntersuchung.

„Prävention und Heilung durch Entgiftung des Körpers ist das Ziel der Kur“, sagt er und erläutert die Lehre der drei Doshas Vata, Pitta und Kapha, Energieflüsse, deren Harmonie in der Kur wiederhergestellt werden.

Die Bestimmung des individuellen Doshas ist ein Kernstück der ayurvedischen Heilkunst, auf ihrer Grundlage wird die weitere Behandlung festgelegt.

Dazu untersucht Jouhar Kanhirala seine Gäste mit einer genauen Iris- und Pulsdiagnostik. Auch Zunge, Hautbeschaffenheit und Bewegungsapparat werden begutachtet, gleichzeitig Lebensweisen, Familienverhältnisse, Erb- und Kinderkrankheiten abgefragt. Danach geht es in die Entgiftungsphase.

Weg mit den Giften

Der Tag im Kalari Kovilakom beginnt früh. Schon um 7 Uhr sitzen die junge Schweizerin und die Dame aus Düsseldorf im Yogapavillion und versuchen mit leichten Asanas- und Atemübungen den Stoffwechsel und Entgiftungsprozess anzuregen.

Zum Frühstück gibt es ein Gläschen warmes Ghee, geklärtes Butterfett, dem durch vorsichtiges Erhitzen die Molkestoffe entzogen wurden. Eine harte Prüfung, denn jeden Tag wird die Menge verdoppelt. Auch bei den Massagen wird statt Sesamöl Ghee benutzt.

Gekocht wird vegetarisch

„Das Ghee bindet fett- und wasserlösliche Gifte im Körper“, sagt Ayurveda-Arzt Kanhirala, „die später ausgeleitet werden“. „Schrecklich, dieser ranzige Buttergeruch“, klagt die Schweizerin, „hoffentlich ist es bald vorbei“.

Doch erst, wenn sich im Schweiß Rückstände von Ghee finden, sind nach ayurvedischer Lehre alle Giftstoffe gelöst und die Ausleitung kann beginnen. Auch das ist für die wenigsten angenehm, denn sie erfolgt mit pflanzlichen Abführ- oder Brechmitteln und kann unterstützt werden durch Aderlass, Kräutereinläufe, Blutegeltherapie, Schwitzkuren und Nasenspülungen.

Zur Belohnung gibt es in der Schlussphase Behandlungen, die der Regeneration und Verjüngung dienen, angenehme Massagen und Gesichtspackungen mit Früchten und Kräutern.

Ernährung als Medizin

Ein wichtiger Baustein in der ayurvedischen Heilkunde ist die Ernährung. Es wird mit Ausnahme von wenigen Buttermilchgetränken vegan gekocht, ohne Öl, Salz, Mehl und Zucker. Jeder Gast bekommt entsprechend seiner Doshas eigene Speisen zubereitet.

„Manchmal koche ich am Tag 80 unterschiedliche Gerichte“, sagt Chefkoch Velayudhan. Das Gemüse wird von Bauern aus der Region geliefert, die Kräuter kommen aus dem hauseigenen Garten.

Milde Gemüsecurrys, Reis und leckere Linsengerichte stehen auf dem Speiseplan, gewürzt wird mit allem was die indische Küche zu bieten hat: Koriander, Tamarinde, Knoblauch, Ingwer, Kreuzkümmel, Gelbwurz und Zwiebeln. Dazu gibt es warmes Ingwerwasser und Kräutertees.

„Die Kur ist eine Reise zu sich selbst“, sagt die Düsseldorferin nach einigen Tagen. Und ihr Knie sei auch schon viel beweglicher.

 

Weitere Infos unter: www.cghearth.com/kalari-kovilakom

 

Fotos: Bettina Hagen