Völlig verkohlt • Wintergenüsse aus Dithmarschen

Im schleswig-holsteinischen Dithmarschen dreht sich seit über 100 Jahren alles um Kohl. Was in deutschen Küchen lange Zeit als Arme-Leute-Essen verpönt war, erlebt heute eine Renaissance. Und die Region an der Nordsee profitiert davon.

Von Oktober bis Anfang November herrscht bei Oliver Langmaack Hochkonjunktur. Dann dreht sich bei dem Landwirt im Schleswig-Holsteinischen Dithmarschen alles um Weißkohl. Sechs Mitarbeiter sorgen dafür, dass sein Kohl von den riesigen Feldern geerntet, von Umblättern befreit und für den Transport vorbereitet wird.

Erntereifer Kohlkopf
Erntereifer Kohlkopf

„Insgesamt 50 Tonnen pro Woche verlassen in dieser Zeit meinen Hof“, sagt der junge Landwirt, der seit 2001 gemeinsam mit seinem Bruder den elterlichen Betrieb führt. Ein arbeitsaufwendiger Prozess, denn die Kohlernte ist in Dithmarschen, Europas größten zusammenhängenden Kohlanbaugebiet, zu 80 Prozent Handarbeit.

Siegeszug des Kohlkopfs

Daran hat sich seit 1889, als man in der heutigen „Kohlkammer Deutschlands“ anfing mit dem professionellen Anbau zu experimentieren, nichts geändert. Die ersten Versuche verliefen damals erfolgreich, dank des nährstoffreichen Marschbodens wurde der Kohl schnell heimisch.

Heute ernten die Dithmarscher auf rund 2800 Hektar Anbaufläche jährlich etwa 80 Millionen Kohlköpfe.

Die Gegend mit dem Nordseeklima hat sich bestens bewährt. „Wir haben hier eine Gesundheitslage“, erklärt Langmaack, „der stetige Westwind von der

Zartes Kohlpflänzchen.
Zartes Kohlpflänzchen

Nordsee hält den Schädlingsbefall sehr gering und der sandige Boden mit hohem Anteil an Schluff und Ton sorgt für eine gute Qualität“.

Vom Weißkohl zum Sauerkraut

Einer von Langmaacks Kunden ist der Lebensmitteltechniker Hubert Nickels. Seit Jahrzehnten dreht sich sein Leben um Weißkohl. Als Betriebsleiter arbeitete er bis 1995 in der Wesselburener Sauerkrautfabrik und verantwortete dort die Produktion.

Als die Fabrik aus betrieblichen Gründen schloss, gab Nickels nicht auf und entschied sich, seine Kenntnisse auf anderem Weg weiter zu geben.

Kurzerhand gründete er in Teilen des alten Betriebsgebäudes Deutschlands einziges Kohlmuseum samt kleiner Produktionsstätte, in dem Besucher alles über das Gemüse, seine gesundheitsfördernde Wirkung und die Verarbeitung zu Sauerkraut lernen können.

Sauerkraut aus Dithmarschen
Hubert Nickels mit selbstgemachtem Sauerkraut

Letzteres hat es ihm besonders angetan, ärgerte er sich von jeher über die industrielle Herstellung von Sauerkraut, in der durch mehrfaches Erhitzen ein Großteil der wertvollen Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe verloren gehen.

Also entwickelte Tüftler Nickels das schonende Konservierungsverfahren der bioaktiven Glasgärung, bei dem auf Hitzebehandlung komplett verzichtet wird.

In der Krautwerkstatt demonstriert er Interessierten den natürlichen Produktionsprozess, zeigt, wie man feldfrische Kohlköpfe schnitzelt, mit 0,9 Prozent Salz anreichert, mischt, in ein Glas abfüllt und mit einem atmenden Spezialdeckel verschliesst.

Aufgetischt

Fährt man im Sommer durch die Landschaft Dithmarschens sieht man ihn links und rechts wachsen: Frühkohl, Spätkohl, Rotkohl. Und auch auf den Speisekarten der Gaststätten trifft man ihn wieder.

Selbst Shampoo und Bodylotion gibt es aus Kohl

„Das war nicht immer so“, sagt Rolf Rogalla, Inhaber des Hotel-Restaurants „Zur Linde“ in Meldorf. „Obwohl wir in einer Kohlgegend leben, scheuen viele Gastronomen den Aufwand, denn das Naturprodukt ist mit viel Arbeit verbunden“.

Bei ihm hingegen stehen Kohlprodukte das ganze Jahr auf der Speisekarte. Nicht nur während der Dithmarscher Kohltage im September, wenn der erste Kohlanstich mit einem Festival gefeiert wird, bei dem als Höhepunkt feierlich die Kohlkönigin gekürt wird.

Längst hat Kohl sein schlechtes Image abgestreift und Einzug in die feine Küche gehalten. Die moderne Küche experimentiert mit Kohl, entspricht er doch dem Zeitgeist einer gesunden, regionalen und kalorienarmen Ernährung.

Im Kohlmuseum wird gezeigt, wie Kohl in vergangenen Zeiten geerntet und verarbeitet wurde.
Im Kohlmuseum wird gezeigt, wie Kohl in vergangenen Zeiten geerntet und verarbeitet wurde

Mehr als Kohlsuppe

In der „Linde“ findet man daher auch keine Kohlsuppe, wohl aber Wirsing-Lasagne mit Lachs- und Scholle, Lammgefüllte Kohlrouladen oder Apfelrotkohl mit Rehgulasch. Und das Angebot wird angenommen, auch von Jüngeren, was Rogalla besonders freut.

Und zum Kohlanstich gibt es besondere Schmankerl: Ein Dithmarscher Kohlcocktail als Aperitif und Kohlpralinen zum Dessert.

Wer darauf nicht warten möchte, kann sich im Sommer in der örtlichen Eisdiele ein Kohleis schmecken lassen. So viel Kohl wie heute war nie – selbst in Dithmarschen nicht.

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INFOS

Informationen zur Urlaubsregion Dithmarschen unter
www.dithmarschen-tourismus.de   

Kohlosseum und Kohlmuseum
Bahnhofstraße 20
25764 Wesselburen
www.kohlosseum.de

Gastronomietipp
Hotel Zur Linde
Südermarkt 1
25704 Meldorf
www.linde-meldorf.de

Fotos: Bettina Hagen