Im Namen des Pfarrers • Kneipp-Kur in Bad Wörishofen

Die gesundheitsfördernde Wirkung der Kneipp-Therapie ist längst bewiesen. Dennoch setzen viele Menschen lieber auf alternative Heilmethoden aus Asien. Zu Unrecht, wie ein Ortsbesuch in der Kneipp-Stadt Bad Wörishofen zeigt.

Der Tag beginnt früh in Bad Wörishofen. Jedenfalls für all jene, denen im Rahmen einer Kneipp-Kur die Morgenwaschung verordnet wurde. Dann steht spätestens um fünf Uhr ein Therapeut am Bett, reibt den noch nachtwarmen Oberkörper mit kaltem Essigwasser ab und wickelt den Gast in dicke Tücher ein. Ein eiskalter Schreck in der Morgenstunde oder ein „schaurig-schönes Erlebnis“, wie Christiane-Maria Rapp, Geschäftsführerin der Kneippschen Stiftungen, es charmanter formuliert. Sie selbst hat es ausprobiert und ist überzeugt von der gesundheitsförderlichen Wirkung. Das muss sie auch, leitet sie doch mit dem Sebastianeum die Original-Wirkungsstätte Sebastian Kneipps, die der Pfarrer 1891 gegründet hat. Noch heute ist dort sein Arbeits- und Behandlungszimmer zu besichtigen.

Kalte Waschungen sind Teil der Kneipp-Therapie
Eiskalter Schreck in der Morgenstunde

Tradition trifft Moderne

Spartanische Unterkünfte, karges Essen und asketisches Leben erwarten im Sebastianeum niemanden mehr. Man ist mit der Zeit gegangen und bietet neben der Wassertherapie auch Wellness in Form von Hallenbad, Sauna, Whirlpools, Ruhebereichen mit bequemem Liegen und Solarium. Auch einen Kräutergarten und eine Bibliothek gibt es. Wer möchte, kann sich nach den Empfehlungen des Geistlichen mit vollwertiger, ballaststoffreicher Kost oder vegetarisch ernähren, aber auch deftig-bayrische Küche steht im Speiseplan.

Sprünge in die Donau

Anwendungen mit warmem und kaltem Wasser haben den Pfarrer berühmt gemacht. Zwar kannte man schon im antiken Rom die Wirkung von Wechselgüssen, doch im Laufe der Jahrhunderte geriet die Hydrotherapie in Vergessenheit. Auch Kneipp selbst musste als junger Theologiestudent erst an einem gefährlichen Lungenkatarrh erkranken, um sich dieser Heilmethode zu besinnen. Angeregt durch das Buch „Unterricht von der wunderbaren Heilkraft des frischen Wassers“, dass etwa 100 Jahre zuvor von dem Mediziner und Philosophen Johann Siegmund Hahn geschrieben wurde, kurierte er sich in Eigenregie mit Sprüngen in die eiskalte Donau. Obwohl seine Ärzte ihn bereits aufgegeben hatten, wurde er wieder vollständig gesund. Kneipp fing an die Methode zu verfeinern und behandelte Erkrankungen von Kommilitonen mit Güssen aus der Gießkanne und Bädern in Waschzubern.

Kalte Güsse
Erfrischender Gesichtsguss

Wassertherapie wird hip

1855 verschlug es ihn nach Wörishofen, zunächst als Beichtvater im örtlichen Kloster, später als Pfarrer. Seine Wassertherapie nahm er mit und immer mehr Menschen kamen in den kleinen Ort, um ihre Herz-Kreislauf-Probleme, Schlaflosigkeit, Rheuma, Magen- und Nierenerkrankungen von dem inzwischen weit über die Grenzen bekannten Pfarrer heilen zu lassen. Das rief Neider hervor, Ärzte und Apotheker rebellierten gegen den so genannten Wasserdoktor, verklagten ihn sogar. Vergebens. Das verschlafene Allgäuer Bauerndorf entwickelte sich noch zu Lebzeiten Kneipps zum florierenden Kurort.

Aktives Gefäßtraining

Wer zum ersten Mal eine Kneipp Anwendung bekommt, spürt, dass der Körper unmittelbar reagiert. Wie beim kalten Armbad, auch als „Tasse Kaffee des Kneippianers“ bekannt. Kaffee gibt es zwar nicht, dafür aber ein Handtuch und einen Hocker, vor dem sich zwei längliche, mit Wasser gefüllte Wannen befinden, aus denen es würzig nach Fichtennadeln riecht. Dann heißt es Ärmel hochkrempeln und beide Arme bis zum Bizeps in die erste Wanne tauchen. Nein, diesmal kein Kälteschock, mit 37 Grad ist das Wasser angenehm warm. Nach genau zwei Minuten kommen beide Unterarme raus, um sie sofort in der nächsten Wanne zu versenken. Und da ist er: der Schock.

Hundert Mückenstiche

Das Wasser ist eiskalt. 20 Sekunden durchhalten, ruhig atmen und zurück ins warme Wasser. Erleichterung, zunächst. Dann beginnt die Haut auf den Wechselreiz zu reagieren und es fühlt sich an, als würden hunderte Mücken auf sie einstechen. „Eine ganz normale Reaktion“, sagt Jochen Reisberger, Leiter der Physiotherapie, der für den reibungslosen Ablauf in der Bäderabteilung sorgt. „Im warmen Wasser erweitern sich die Gefäße, im kalten ziehen sie sich wieder zusammen. Ein ideales Gefäßtraining, das Durchblutung und Kreislauf anregt, den Stoffwechsel fördert und das Immunsystem stärkt“. Und tatsächlich. Nach zweifachem Wechsel ist der Kälteschreck überwunden und der Kreislauf in Schwung gekommen.

Kalter Guss an den Füßen
Hilft nicht nur gegen Schweißfüße

Kneipps Verfahren beruht auf Abhärtung, doch es wird dabei keinesfalls nur auf kalt-warme Reize gesetzt. Erkältungen zum Beispiel werden mit ansteigenden warmen Fußbädern, Wannenbädern mit Kräuterzusätzen und Inhalation behandelt. Oder mit heißen Thymian-Brustwickeln, die das Abhusten erleichtern. Insgesamt 150 verschiedene Anwendungen stehen zur Verfügung und werden individuell an die Bedürfnisse des Gastes angepasst.

Fünf Säulen

Kneipp sah den Menschen als Einheit von Körper, Seele und Geist und sein ganzheitlicher Ansatz umfasst alle Bereiche. Seine Lehre basiert auf den Säulen „Wasser“, „Bewegung“, „Heilpflanzen“, „Ernährung“, und „(Lebens)-Ordnung“ und ist damit heute noch so modern wie vor 150 Jahren. Das sieht auch Siegfried Bäumler so, leitender Oberarzt in den Kneippschen Stiftungen. Zwar sei Dank der Forschung die Kneipp-Therapie noch differenzierter und zielgerichteter einsetzbar, an den Grundprinzipien jedoch habe sich nichts geändert.

Ordnung ins Leben bringen

Für Bäumler ist die „Lebensordnung“ die wichtigste der fünf Säulen. Kneipp verstand darunter eine bewusste Lebensführung, die für innere Ausgeglichenheit und Widerstandskraft sorgt. „Achtsamkeit ist das Schlüsselwort“ sagt Oberarzt Bäumler, „das richtige Verhältnis zwischen Aktivität und Passivität, Entspannung und Bewegung“. Besonders in der heutigen Leistungsgesellschaft müssten die Menschen lernen, dass Ruhe nicht Faulheit bedeutet und das bewusste Innehalten ein wichtiger Prozess sei, über sich selbst zu reflektieren. Die alarmierend steigende Zahl an Burn-Out-Patienten scheint ihm Recht zu geben. Deshalb werden in den Kneippschen Stiftungen neben den Wasseranwendungen auch Kurse in Muskeltiefenentspannung, Eutonie, Autogenem Training und Meditation angeboten, die gestresste Neuzeitseelen zur Ruhe bringen sollen.

Kneipp-Museum in Bad Wörishofen
Ein Museum für den berühmten Sohn der Stadt


Imageprobleme

Mit ihrem ganzheitlichen Ansatz trifft die Kneipp-Therapie den Zeitgeist. Und dennoch hat sie ein massives Imageproblem und steht im Schatten fernöstlicher Heilmethoden. Ayurveda, Traditionelle Chinesische Medizin, Yoga und Co. stehen hoch im Kurs, die Hydrotherapie dagegen fristet ein klägliches Schattendasein. Das Besondere vor der eigenen Haustür wird eben oft übersehen.

Fotos: Kneipp-Original Bad Wörishofen

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SEBASTIANEUM
Kneipp- & Gesundheitsresort
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