Ayurveda • Nichts für Feiglinge

Das südindische Kerala gilt als die Wiege des Ayurveda. Die Angebote sind vielfältig – von sanften Wellnessbehandlungen bis zur strengen Kur. Letzteres ist nicht immer angenehm.

„Lass Deine Welt zurück“, mit diesen Worten werden Gäste im Ayurveda-Zentrum Kalari Kovilakom in der Provinz Palakkad begrüßt. Das fällt erstmal nicht schwer, denn der ehemalige Königspalast der Vengunard Dynastie liegt zwischen Reisfeldern und Kokospalmen und wirkt mit seiner prunkvollen Architektur und dem zehn Hektar großen Garten wie Relikt aus Zeiten der Maharadscha.

Und das, obwohl es nur ein Nebengebäude des urpünglichen Palastes ist, der einzige Teil, der vor dem Verfall noch zu retten war.

Heute eine Ayurveda-Klinik
Säulengang im ehemaligen Königspalst

Doch der glänzende Marmor, die dunklen sorgfältig verzierten Holzsäulen und die bunten Fresken lassen erahnen, wie die Anlage aus dem 19. Jahrhundert ausgesehen haben muss.

Eintauchen in eine andere Welt, in ein Leben zwischen Askese und Luxus, das lernen die Gäste in der klösterlichen Atmospäre des Palastes.

 

Heilkunst und Lebensweise

Der südindische Bundesstaat Kerala gilt als die Geburtsstätte der ayurvedischen Heilkunst. Sie wird seit Jahrtausenden dort praktiziert und auch heute werden Patienten nach ihren Regeln behandelt. Doch zunehmend setzen Inder, insbesondere die Mittel- und Oberschicht in den Großstädten, auf moderne Schulmedizin und Pharmazie.

Umgekehrt ist es in den westlichen Ländern. Dort wird die reine Gerätemedizin immer häufiger in Frage gestellt, alternative Therapie- und Behandlungformen mit ganzheitlichem Ansatz verzeichnen seit Jahrzehnten einen Boom.

Und nicht wenige machen sich auf den Weg in den Süden Indiens, um dort authentisches Ayurveda zu erleben.

Heute findet man in Kerala oder Goa fast an jeder Straßenecke Ayurveda-Angebote, von Stirngüssen, über Öl- bis hin zu Synchronmassagen. „Ayurveda-to-go“, die schnelle Entspannung nach dem langen Flug oder anstrengendem Sight-Seeing.

Doch Ayurveda, wörtlich übersetzt die Lehre vom Leben, ist weit mehr als sanfte Streichelmassagen – es ist traditionelle indische Heilkunst und Lebensweise in einem.

Im Kalari Kovilakom wird beides nach strengen Regeln praktiziert. Deshalb darf sich die Einrichtung seit drei Jahren offziell auch Krankenhaus und Gesundheitszentrum nennen.

Zwischen den Behandlungen ist Entspannung angessagt

Zeit des Verzichts

Gäste, die einen Aufenthalt im Kalari buchen, suchen genau diese Erfahrung. Zum Bespiel die ältere Dame aus Düsseldorf, deren kaputtes Knie schulmedizinisch austherapiert ist und die sich Linderung ihrer Beschwerden erhofft.

Oder eine junge Frau aus der französischen Schweiz, die ohne Schlafmittel nachts nicht zur Ruhe kommt und Kettenraucherin ist.

Beide haben vorab einen ausführlichen Amnamesebogen ausgefüllt, sind am Tag ihrer Ankunft mit bunten Blumenketten und erfrischendem Kokoswasser begrüßt wurden und tauschten ihre private Kleidung gegen ein weißes lufitges Yogaoutfit.

14 Tage bleiben sie, kürzer wird erst gar keine Kur angeboten. In dieser Zeit darf das Gelände nicht verlassen werden, es gibt weder Fernseher noch Radio, Zucker, Fleisch, Alkohol, Kaffee und Nikotin sind ebenfalls tabu.

Auch Yoga-Lehrer müssen praktizieren

Ayurvedische Lehre

Weshalb das so ist, erklärt Chefarzt Jouhar Kanhirala, einer der vier praktizierenden Ayurveda-Ärzte, seinen Gästen bei der Erstuntersuchung.

„Prävention und Heilung durch Entgiftung des Körpers ist das Ziel der Kur“, sagt er und erläutert die Lehre der drei Doshas Vata, Pitta und Kapha, Energieflüsse, deren Harmonie in der Kur wiederhergestellt werden.

Die Bestimmung des individuellen Doshas ist ein Kernstück der ayurvedischen Heilkunst, auf ihrer Grundlage wird die weitere Behandlung festgelegt.

Dazu untersucht Jouhar Kanhirala seine Gäste mit einer genauen Iris- und Pulsdiagnostik. Auch Zunge, Hautbeschaffenheit und Bewegungsapparat werden begutachtet, gleichzeitig Lebensweisen, Familienverhältnisse, Erb- und Kinderkrankheiten abgefragt. Danach geht es in die Entgiftungsphase.

Weg mit den Giften

Der Tag im Kalari Kovilakom beginnt früh. Schon um 7 Uhr sitzen die junge Schweizerin und die Dame aus Düsseldorf im Yogapavillion und versuchen mit leichten Asanas- und Atemübungen den Stoffwechsel und Entgiftungsprozess anzuregen.

Zum Frühstück gibt es ein Gläschen warmes Ghee, geklärtes Butterfett, dem durch vorsichtiges Erhitzen die Molkestoffe entzogen wurden. Eine harte Prüfung, denn jeden Tag wird die Menge verdoppelt. Auch bei den Massagen wird statt Sesamöl Ghee benutzt.

Gekocht wird vegetarisch

„Das Ghee bindet fett- und wasserlösliche Gifte im Körper“, sagt Ayurveda-Arzt Kanhirala, „die später ausgeleitet werden“. „Schrecklich, dieser ranzige Buttergeruch“, klagt die Schweizerin, „hoffentlich ist es bald vorbei“.

Doch erst, wenn sich im Schweiß Rückstände von Ghee finden, sind nach ayurvedischer Lehre alle Giftstoffe gelöst und die Ausleitung kann beginnen. Auch das ist für die wenigsten angenehm, denn sie erfolgt mit pflanzlichen Abführ- oder Brechmitteln und kann unterstützt werden durch Aderlass, Kräutereinläufe, Blutegeltherapie, Schwitzkuren und Nasenspülungen.

Zur Belohnung gibt es in der Schlussphase Behandlungen, die der Regeneration und Verjüngung dienen, angenehme Massagen und Gesichtspackungen mit Früchten und Kräutern.

Ernährung als Medizin

Ein wichtiger Baustein in der ayurvedischen Heilkunde ist die Ernährung. Es wird mit Ausnahme von wenigen Buttermilchgetränken vegan gekocht, ohne Öl, Salz, Mehl und Zucker. Jeder Gast bekommt entsprechend seiner Doshas eigene Speisen zubereitet.

„Manchmal koche ich am Tag 80 unterschiedliche Gerichte“, sagt Chefkoch Velayudhan. Das Gemüse wird von Bauern aus der Region geliefert, die Kräuter kommen aus dem hauseigenen Garten.

Milde Gemüsecurrys, Reis und leckere Linsengerichte stehen auf dem Speiseplan, gewürzt wird mit allem was die indische Küche zu bieten hat: Koriander, Tamarinde, Knoblauch, Ingwer, Kreuzkümmel, Gelbwurz und Zwiebeln. Dazu gibt es warmes Ingwerwasser und Kräutertees.

„Die Kur ist eine Reise zu sich selbst“, sagt die Düsseldorferin nach einigen Tagen. Und ihr Knie sei auch schon viel beweglicher.

 

Weitere Infos unter: www.cghearth.com/kalari-kovilakom

 

Fotos: Bettina Hagen




Zwei wie Jod und Schwefel • Das Wunder von Bad Wiessee

Das einst mondäne Bad Wiessee am Tegernsee kämpft wie viele andere Kurorte um Gäste. Doch im scharfen Wettbewerb hat Bad Wiessee ein Ass im Ärmel: Seit mehr als hundert Jahren sprudelt dort Deutschlands stärkste Jod-Schwefel-Quelle.

Wer die Lobby des Jod-Schwefel-Bads in Bad Wiessee betritt, wird den ersten Eindruck so schnell nicht vergessen. Ein beißender Schwefelgeruch schlägt einem entgegen, der an faule Eier erinnert und erste Fluchtgedanken auslöst. „Man gewöhnt sich daran“, sagt der technischer Leiter Lorenz Biller. „Ich rieche es gar nicht mehr“.

Und tatsächlich, nach und nach verflüchtigt sich der Geruch, je weiter man durch das Gebäude geht. Seit über 20 Jahren arbeitet Biller in der Anlage und kennt sie wie seine Westentasche. Oft führt er interessierte Gäste herum, zeigt ihnen die Therapieräume und erklärt, weshalb sich der entzündungshemmende Schwefel und das durchblutungsfördernde Jod gut für die Linderung von Haut- und Augenleiden, bei Atemwegserkrankungen und Rheuma eignen.

Die Sole befindet sich 630 Meter unter der Erde
Fördert 19 Grad warme Sole ans Tageslicht

Frisch gezapft

Auf besonderen Wunsch darf man sogar einen Blick in den Förderturm werfen. Tag für Tag wird dort aus 630 Meter Tiefe 19 Grad warme Sole mit einem ph-Wert von 8,2 bis 8,5 ans Tageslicht gepumpt. Durch luftdichte Pipelines fließt sie in Container, um für die medizinischen Anwendungen frisch abgezapft zu werden.

Der außergewöhnlichen Jod-Schwefel-Konzentration ist es zu verdanken, dass der Ort schon 1922 mit dem Prädikat „Bad“ ausgezeichnet wurde. Seitdem wird die Heilkraft der jod-, schwefel- und fluoridhaltigen Natrium-Chlorid-Quellen für die Therapie genutzt.

Das Wunder von Bad Wiessee

Im frühen 15. Jahrhundert wurde der Tegernsee für seine Bodenschätze bekannt. Damals machte ein Benediktinermönch auf dem See eine seltsame Entdeckung. Dunkel-glänzend war das Wasser an einigen Stellen, als ob eine zweite Schicht darauf läge. Er ging der Sache nach und seine Untersuchungen führten ihn an das Westufer des Sees, in die Nähe des Ortes Wiessee. Dort stieß er auf eine Ölquelle, die für die Verfärbungen im Wasser verantwortlich war. Die Quelle wurde nach dem heiligen Quiriunus, dem Schutzpatron des Klosters benannt.

Schnell schrieb man dem Öl eine besondere Heilkraft zu und gab es unter dem Namen „Oleum Sancti Quirini“ zur Behandlung von Beschwerden an die Bevölkerung ab. Ein gedruckter Beipackzettel informierte über Ursprung und Anwendung.

Und plötzlich war in der gesamten Region von Wunderheilungen die Rede, die die Behandlung mit dem Tegernseer Öl bewirke. Blinde, die plötzlich wieder sehen konnten und andere phantastische Geschichten zogen sogar Menschen aus Südtirol und Böhmen an. Noch bis ins frühe 18. Jahrhundert glaubte man die Heilkraft des Wunderöls. Mit der Aufklärung und der Säkularisation brach eine neue Zeit an, das Öl wurde als profanes Erdöl deklariert, doch nach wie vor als Arzneimittel verkauft.

Sole wird gefördert
Kein Erdöl, dafür Sole

Kein Texas in Bayern

Um das Jahr 1900 erreichte den holländischen Geschäftsmann Adrian Stoop die Nachricht über die Tegernseer Ölfunde. Er witterte ein Geschäft, kam nach Wiessee und ließ Bohrungen im großen Stil durchführen.

Doch statt auf Öl stieß er in etwa 700 Meter Tiefe auf einen Strudel mit übelriechenden Erdgasströmungen. Durch Zufall hatte er die stärkste Schwefelquelle Deutschlands entdeckt, die Ölquellen hingegen waren versiegt.

Zunächst konnten sich die Einheimischen für den stinkenden Fund nur wenig begeistert. Erst als ein ortsansässiger Arzt nach Untersuchungen die heilendende Wirkung des Wassers erkannte, die Sole professionell gefördert und 1910 die ersten Quellenbäder in Holzbottichen verordnet wurden, schloss man seinen Frieden.

Der Jet-Set reist an

In den nächsten Jahren erlebte der Ort einen rasanten Aufschwung. Ein Badehaus mit zwölf Kabinen entstand und die Zahl der verabreichten Bäder, Inhalationen und Trinkkuren stieg sprunghaft. Selbst in den Jahren des ersten Weltkriegs konnten sich die Anwendungen von 9270 pro Jahr auf 17409 fast verdoppeln.

Steiler Aufschwung als Kurort
Bad Wiessee wird mondän

Seine Blütezeit erlebte der Ort in den dreißiger Jahren. 1935 verzeichnete man bereits 160.000 Behandlungen. Das Badehaus wurde um eine Wandelhalle und einen Theatersaal erweitert, Bad Wiessee avancierte zum mondänen Kurort für Adel, Prominenz und Besserbetuchte.

Jod-Schwefel heute

An einigen Stellen ist er noch zu sehen, der Glanz von damals. Wenn man durch die Wandelhalle spaziert, die jetzt als frei buchbare Eventlocation dient oder auf der breiten Terrasse unter alten Bäumen sitzt und auf den See schaut.

Oder, wenn der Blick auf die alten Uhren an den Türaußenseiten der Wannenkabinen fällt, die per Hand knarzend aufgezogen werden und für die Einhaltung der Badezeiten sorgen. Als 2010 anlässlich des 100. Geburtstags das Jod-Schwefel-Bad komplett modernisiert wurde, hat man sie bewusst behalten – aus Tradition.

Badet der Kurgast heute in der gräulichen Jod-Schwefel-Sole, liegt er in einer speziell geformten Wanne, die als besonders kreislaufschonend gilt. Oder er sitzt im Sprühbad und lässt warmem Jod-Sole-Dampf auf sich wirken. Ein leichter Geruch von Paraffin schleicht durch die Kabinen und erinnert daran, dass Bad Wiessee ja ursprünglich die bayrische Antwort auf Texas werden sollte.

Erdöl verfärbt das Solebad
Rückstände des Erdöls hinterlassen einen Film auf der Haut

Tatsächlich sind es Rückstände des Erdöls, die mit der Sole gefördert werden und auf der Haut einen angenehmen Film hinterlassen. 20 Minuten dauert ein Bad, dazu kommt die Nachruhzeit von einer halben Stunde, zu der man noch feucht in Laken und Decke eingewickelt wird.

„Das ist wichtig“, sagt Betriebsleiter Kaiser, „denn in dieser Zeit wird der Schwefel weiter vom Körper aufgenommen“. Nach sechs bis acht Bädern könne man mit einer nachhaltigen Wirkung rechnen.

Ehrgeizige Pläne

Doch mit dem verblassten Charme der Vergangenheit kann es ein schnelles Ende haben, denn es wird derzeit über eine komplette Neukonzeption des gesamten Areals diskutiert. Investoren wurden gesucht, entstehen sollen ein neues Jodbad sowie ein Hotelkomplex mit angeschlossenem Medizin-Zentrum. Der erste Spatenstich ist für Mitte 2016 geplant.

Es wirkt ein bisschen als würde das Jod-Schwefel-Bad derzeit aus einem Dornröschenschlaf erwachen und sich wieder auf seine Stärken besinnen. Werden jetzt die Weichen richtig gestellt, kann es ein Schritt in eine bessere Zukunft sein.

Fotos: Gesundheitszentrum Jodschwefelbad GmbH
Foto Förderpumpe: Bettina Hagen

INFOS
Gesundheitszentrum Jodschwefelbad GmbH

Adrian-Stoop-Str. 37-47
83707 Bad Wiessee
Tel. 08022 86080
www.jodschwefelbad.eu




Im Namen des Pfarrers • Kneipp-Kur in Bad Wörishofen

Die gesundheitsfördernde Wirkung der Kneipp-Therapie ist längst bewiesen. Dennoch setzen viele Menschen lieber auf alternative Heilmethoden aus Asien. Zu Unrecht, wie ein Ortsbesuch in der Kneipp-Stadt Bad Wörishofen zeigt.

Der Tag beginnt früh in Bad Wörishofen. Jedenfalls für all jene, denen im Rahmen einer Kneipp-Kur die Morgenwaschung verordnet wurde. Dann steht spätestens um fünf Uhr ein Therapeut am Bett, reibt den noch nachtwarmen Oberkörper mit kaltem Essigwasser ab und wickelt den Gast in dicke Tücher ein. Ein eiskalter Schreck in der Morgenstunde oder ein „schaurig-schönes Erlebnis“, wie Christiane-Maria Rapp, Geschäftsführerin der Kneippschen Stiftungen, es charmanter formuliert. Sie selbst hat es ausprobiert und ist überzeugt von der gesundheitsförderlichen Wirkung. Das muss sie auch, leitet sie doch mit dem Sebastianeum die Original-Wirkungsstätte Sebastian Kneipps, die der Pfarrer 1891 gegründet hat. Noch heute ist dort sein Arbeits- und Behandlungszimmer zu besichtigen.

Kalte Waschungen sind Teil der Kneipp-Therapie
Eiskalter Schreck in der Morgenstunde

Tradition trifft Moderne

Spartanische Unterkünfte, karges Essen und asketisches Leben erwarten im Sebastianeum niemanden mehr. Man ist mit der Zeit gegangen und bietet neben der Wassertherapie auch Wellness in Form von Hallenbad, Sauna, Whirlpools, Ruhebereichen mit bequemem Liegen und Solarium. Auch einen Kräutergarten und eine Bibliothek gibt es. Wer möchte, kann sich nach den Empfehlungen des Geistlichen mit vollwertiger, ballaststoffreicher Kost oder vegetarisch ernähren, aber auch deftig-bayrische Küche steht im Speiseplan.

Sprünge in die Donau

Anwendungen mit warmem und kaltem Wasser haben den Pfarrer berühmt gemacht. Zwar kannte man schon im antiken Rom die Wirkung von Wechselgüssen, doch im Laufe der Jahrhunderte geriet die Hydrotherapie in Vergessenheit. Auch Kneipp selbst musste als junger Theologiestudent erst an einem gefährlichen Lungenkatarrh erkranken, um sich dieser Heilmethode zu besinnen. Angeregt durch das Buch „Unterricht von der wunderbaren Heilkraft des frischen Wassers“, dass etwa 100 Jahre zuvor von dem Mediziner und Philosophen Johann Siegmund Hahn geschrieben wurde, kurierte er sich in Eigenregie mit Sprüngen in die eiskalte Donau. Obwohl seine Ärzte ihn bereits aufgegeben hatten, wurde er wieder vollständig gesund. Kneipp fing an die Methode zu verfeinern und behandelte Erkrankungen von Kommilitonen mit Güssen aus der Gießkanne und Bädern in Waschzubern.

Kalte Güsse
Erfrischender Gesichtsguss

Wassertherapie wird hip

1855 verschlug es ihn nach Wörishofen, zunächst als Beichtvater im örtlichen Kloster, später als Pfarrer. Seine Wassertherapie nahm er mit und immer mehr Menschen kamen in den kleinen Ort, um ihre Herz-Kreislauf-Probleme, Schlaflosigkeit, Rheuma, Magen- und Nierenerkrankungen von dem inzwischen weit über die Grenzen bekannten Pfarrer heilen zu lassen. Das rief Neider hervor, Ärzte und Apotheker rebellierten gegen den so genannten Wasserdoktor, verklagten ihn sogar. Vergebens. Das verschlafene Allgäuer Bauerndorf entwickelte sich noch zu Lebzeiten Kneipps zum florierenden Kurort.

Aktives Gefäßtraining

Wer zum ersten Mal eine Kneipp Anwendung bekommt, spürt, dass der Körper unmittelbar reagiert. Wie beim kalten Armbad, auch als „Tasse Kaffee des Kneippianers“ bekannt. Kaffee gibt es zwar nicht, dafür aber ein Handtuch und einen Hocker, vor dem sich zwei längliche, mit Wasser gefüllte Wannen befinden, aus denen es würzig nach Fichtennadeln riecht. Dann heißt es Ärmel hochkrempeln und beide Arme bis zum Bizeps in die erste Wanne tauchen. Nein, diesmal kein Kälteschock, mit 37 Grad ist das Wasser angenehm warm. Nach genau zwei Minuten kommen beide Unterarme raus, um sie sofort in der nächsten Wanne zu versenken. Und da ist er: der Schock.

Hundert Mückenstiche

Das Wasser ist eiskalt. 20 Sekunden durchhalten, ruhig atmen und zurück ins warme Wasser. Erleichterung, zunächst. Dann beginnt die Haut auf den Wechselreiz zu reagieren und es fühlt sich an, als würden hunderte Mücken auf sie einstechen. „Eine ganz normale Reaktion“, sagt Jochen Reisberger, Leiter der Physiotherapie, der für den reibungslosen Ablauf in der Bäderabteilung sorgt. „Im warmen Wasser erweitern sich die Gefäße, im kalten ziehen sie sich wieder zusammen. Ein ideales Gefäßtraining, das Durchblutung und Kreislauf anregt, den Stoffwechsel fördert und das Immunsystem stärkt“. Und tatsächlich. Nach zweifachem Wechsel ist der Kälteschreck überwunden und der Kreislauf in Schwung gekommen.

Kalter Guss an den Füßen
Hilft nicht nur gegen Schweißfüße

Kneipps Verfahren beruht auf Abhärtung, doch es wird dabei keinesfalls nur auf kalt-warme Reize gesetzt. Erkältungen zum Beispiel werden mit ansteigenden warmen Fußbädern, Wannenbädern mit Kräuterzusätzen und Inhalation behandelt. Oder mit heißen Thymian-Brustwickeln, die das Abhusten erleichtern. Insgesamt 150 verschiedene Anwendungen stehen zur Verfügung und werden individuell an die Bedürfnisse des Gastes angepasst.

Fünf Säulen

Kneipp sah den Menschen als Einheit von Körper, Seele und Geist und sein ganzheitlicher Ansatz umfasst alle Bereiche. Seine Lehre basiert auf den Säulen „Wasser“, „Bewegung“, „Heilpflanzen“, „Ernährung“, und „(Lebens)-Ordnung“ und ist damit heute noch so modern wie vor 150 Jahren. Das sieht auch Siegfried Bäumler so, leitender Oberarzt in den Kneippschen Stiftungen. Zwar sei Dank der Forschung die Kneipp-Therapie noch differenzierter und zielgerichteter einsetzbar, an den Grundprinzipien jedoch habe sich nichts geändert.

Ordnung ins Leben bringen

Für Bäumler ist die „Lebensordnung“ die wichtigste der fünf Säulen. Kneipp verstand darunter eine bewusste Lebensführung, die für innere Ausgeglichenheit und Widerstandskraft sorgt. „Achtsamkeit ist das Schlüsselwort“ sagt Oberarzt Bäumler, „das richtige Verhältnis zwischen Aktivität und Passivität, Entspannung und Bewegung“. Besonders in der heutigen Leistungsgesellschaft müssten die Menschen lernen, dass Ruhe nicht Faulheit bedeutet und das bewusste Innehalten ein wichtiger Prozess sei, über sich selbst zu reflektieren. Die alarmierend steigende Zahl an Burn-Out-Patienten scheint ihm Recht zu geben. Deshalb werden in den Kneippschen Stiftungen neben den Wasseranwendungen auch Kurse in Muskeltiefenentspannung, Eutonie, Autogenem Training und Meditation angeboten, die gestresste Neuzeitseelen zur Ruhe bringen sollen.

Kneipp-Museum in Bad Wörishofen
Ein Museum für den berühmten Sohn der Stadt


Imageprobleme

Mit ihrem ganzheitlichen Ansatz trifft die Kneipp-Therapie den Zeitgeist. Und dennoch hat sie ein massives Imageproblem und steht im Schatten fernöstlicher Heilmethoden. Ayurveda, Traditionelle Chinesische Medizin, Yoga und Co. stehen hoch im Kurs, die Hydrotherapie dagegen fristet ein klägliches Schattendasein. Das Besondere vor der eigenen Haustür wird eben oft übersehen.

Fotos: Kneipp-Original Bad Wörishofen

INFOS
SEBASTIANEUM
Kneipp- & Gesundheitsresort
Kneippstraße 8
86825 Bad Wörishofen
Telefon: 08247 3550
www.sebastianeum.de




Ringelblumensalbe selbst gemacht

Ringelblumensalbe gilt als entzündungshemmend und wundheilungsfördernd. Und sie lässt sich schnell selbst herstellen. Auch der Anbau von Ringelblumen ist einfach und gelingt sogar in Balkonkästen.

Zutaten:
500 g Schweineschmalz
250 ml Ringelblumenöl (aus Olivenöl hergestellt)
einige Tropfen Rosenöl oder ein anderes ätherisches Öl
eine Handvoll Ringelblumenblüten (frisch oder getrocknet)

Zubereitung:
Schmalz im Topf zergehen lassen, die Ringelblumenblüten hinein geben und kurz aufkochen lassen. Gut umrühren. Den Topf vom Herd nehmen und über Nacht zugedeckt stehen lassen. Am nächsten Tag wieder kurz erhitzen und durch ein Tuch seihen (oder durch einen Kaffeefilter schütten). Ringelblumenöl und Rosenöl für einen angenehmen Duft dazugeben. Das Ganze in kleine Dosen abfüllen und fest werden lassen. Kühl aufbewahren.

Verwendung:
Zubereitungen aus der Ringelblume, insbesondere Salben, wirken entzündungshemmend, wundheilungsfördernd, gewebsentwässernd (antiödematös) und hemmen das Wachstum von Bakterien. Man verwendet sie, ähnlich wie Arnikablüten, äußerlich bei schlecht heilenden Wunden und Entzündungen der Haut und Schleimhäute, bei Quetschungen, Furunkeln, leichten Verbrennungen und Ausschlägen, aber auch zur Behandlung von Venenleiden. Die Ringelblume wurde erst im Mittelalter als Heilpflanze bekannt und fehlt heute in keinem Heilkräutergarten.

Anbau und Ernte:
Ringelblumen sind pflegeleicht und wachsen gut an sonnigen Standorten. Zwischen April und Juni werden sie ins Freie gesät. Die Blütezeit entspricht der Erntezeit und dauert von Juni bis Oktober. Zur Verarbeitung werden die ganzen Blüten oder die Zungenblüten verwendet. Ringelblumen können auch in Balkonkästen oder Blumenkübeln angebaut werden.

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Foto: Bettina Hagen




Heilkraft aus dem Klostergarten

Klostergärten haben eine lange und wechselvolle Geschichte. Ihre Anfänge reichen zurück bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. und führen zu den Benediktinermönchen in Italien. Im Kloster Arenberg bei Koblenz wird diese Tradition gepflegt.

Ein Arbeitsplatz, wie er schöner nicht sein könnte. Besonders im Sommer, wenn intensive Düfte und kräftig-leuchtende Blumen Schwestern und Klostergäste in den 4000 Quadratmeter großen Garten locken. „Ein regelrechtes Feuerwerk für die Sinne“, sagt Schwester Ursula, die in dem Konvent für den Heilkräutergarten zuständig ist, „und jeden Tag blüht es anders“. Nicht ohne Grund ist gerade sie mit dieser Aufgabe betraut worden, denn die promovierte Pharmazeutin beschäftigt sich schon seit dem Studium intensiv mit Phytologie.

Ringelblumen unterstützen bei der Wundheilung.
Ringelblumen in voller Blüte

In den Sommermonaten haben die Schwestern besonders viel zu tun, denn auf dem Arenberg werden Heilpflanzen wie Sonnenhut, Pfefferminze, Johanniskraut, Eibisch, Rosmarin oder Salbei professionell angebaut und zu Tees, Salben, Tinkturen und Likören verarbeitet. Ganz im Sinne der klösterlichen Tradition setzen die Dominikanerinnen auf die Wirkung der Phytotherapie.

Wenn Schwester Ursula nicht in den Beeten ist, greift sie zu Messer und Schere, zupft und zerkleinert Kräuter, die zuvor zwei Tage lang in breiten Regalschubladen bei etwa 40 Grad getrocknet wurden. Oder sie steht in der Kräuterküche und destilliert, rührt, kocht oder brüht würzig riechende Kräuter zu wertvollen Essenzen.

Schonende Trockung der Ringelblumen
Ringelblumen müssen vor der Verarbeitung getrocknet werden

Häufig werden die Schwestern von Gästen angesprochen, die mehr über die Wirksamkeit von Heilkräutern wissen wollen. Geduldig erklären sie dann, dass die dunkelgelben Blüten der Ringelblume die Wundheilung fördern, Pfefferminze bei Darmbeschwerden hilft und Johanniskraut in der Naturheilkunde bei leichten Depressionen eingesetzt wird. Und auch, dass das Wissen über die Heilkraft der Kräuter eng mit der Geschichte der Klöster verbunden ist.

Ora et labora

Im Mittelalter lag die medizinische Versorgung der Menschen fest in den Händen von Mönchen und Nonnen. Sie waren es die Spitäler betrieben und ihre Gärten zum Anbau von Heilpflanzen nutzten. Klostergärten wurden zum Vorläufern der heutigen Apotheke.

Den Grundstein dafür legte der Ordensgründer Benedikt von Nursia, der um das Jahr 530 nach Christus, die erste klösterliche Gemeinschaft in Süditalien gründete. Die Niederschrift seiner Ordensregeln markiert medizingeschichtlich den Beginn der Klosterheilkunde. Neben seinem Leitspruch „ora et labora“ postulierte er, „die Sorge der Kranken müsse vor und über allen Pflichten stehen“.

Die Teeherstellung ist Handarbeit.
Getrocknete Planzen werden per Hand gezupft

Benedikt und seine Mitbrüder lasen die Werke der griechischen Ärzte Hippokrates, Dioskurides und Galenus und studierten die Eigenschaften der Heilkräuter und die Mischung von Arzneien. Er begann, Mönche in der Krankenpflege und Kräuterheilkunde auszubilden, und gründete damit eine Tradition, die bis ins 13. Jahrhundert reicht.

Über die Alpen

Karl der Große (747 bis 814) erkannte das Potenzial, dass in dem überlieferten Wissen der Mönche lag und erließ ein Gesetz, dass Klöstern und Städten das Anlegen von Nutzgärten vorschrieb. Als Förderer der Heilkunde setze er vor allem auf Heil- und Gewürzpflanzen und legte mit dieser Reform im Reich der Franken die medizinische Versorgung kranker Menschen in die Verantwortung der Klöster.

Lavendel - nicht nur in der Küche nützlich.
Auch Lavendel wird im Klostergarten angebaut

Das Wissen um die Heilkraft von Kräutern wurde in den Klöstern nicht nur dokumentiert sondern auch systematisch erweitert und aktualisiert. Sie ergänzten ihre Erfahrungen durch das genaue Studium alter Quellen und kultivierten in ihren Gärten mehr und mehr Importe aus anderen Ländern.

Mit dem Aufblühen neuer Handelsrouten im 12. Jahrhundert kamen Pflanzen wie Ingwer, Kardamom, Muskat und Zimt aus Asien und Afrika erstmals nach Europa.

Hildegard von Bingen

Der Begriff Klostermedizin ist heute oft mit dem Namen Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) verbunden. Die noch heute berühmte Äbtissin des Benediktinerinnenklosters auf dem Rupertsberg bei Bingen am Rhein brachte neue Pflanzen in die Klostermedizin und verfasste die medizinische Werke „Physica“, in dem sie die Wirkung von über 200 Heilpflanzen beschrieb und „Causae et curae“. Sie war die erste, die Pflanzen nicht mehr mit dem lateinischen, sondern dem volkstümlichen Namen benannte und war auch die erste, die traditionelle Klostermedizin mit dem volkstümlichen Heilwissen ihrer Zeit zusammen brachte.

Allerdings mit der Folge, dass ihre Darstellungen häufig von Magie, Mystik und Aberglauben geprägt waren. Heute werden viele ihrer Erkenntnisse unter dem Begriff Hildegardmedizin beworben und vermarktet, doch wegen der unsicheren Quellenlage eine die klare Zuordnung umstritten. Als Werbe-Ikone muss sie für Kräutermischungen, Weine und Elixiere bis hin zu Gebäck, Cremes und Ölen dennoch herhalten.

Zur Gattung der Lungenkräuter gehören etwa 20 Arten.
Soll bei Halsweh, Heiserkeit und Blasenleiden helfen

Klostermedizin wird unmodern

Ab dem 12. Jahrhundert wuchs an den Universitäten das medizinische Interesse. Erste Medizinschulen entstanden in Italien, Spanien und Frankreich. Etwa zeitgleich wurde den Mönchen verboten, ärztlich tätig zu sein. Klöster verloren ihre Monopolstellung und begannen ihre Spitäler zu schließen. Auch wenn die Klostermedizin zwischenzeitlich immer wieder Aufschwünge erlebte, so verschwand sie doch im Laufe der Jahrhunderte zunehmend aus dem Bewusstsein. Die Entwicklung der neuzeitlichen chemischen Pharmazeutik beschleunigte den Prozess.

Heute jedoch ist die Naturmedizin als Alternative und Ergänzung zur Schulmedizin wieder sehr gefragt. Auch wissenschaftlich stößt sie auf Interesse. 1999 wurde von der Universität Würzburg die interdisziplinäre „Forschergruppe Klostermedizin“ ins Leben gerufen. Mediziner, Botaniker, Pharmazeuten, Chemiker und Historiker erforschen Hand in Hand das historisches Heilwissen, mit dem Ziel, es zu bewahren und in moderne Therapien einzubinden.

Zurück zur Natur

Daran liegt auch Schwester Ursula. Regelmäßig hält sie Vorträge zu Themen wie Heilkräuter und Erkältungen, Frauenkrankheiten, ätherische Öle oder Weihnachtsgewürze. Vor zwei Jahren hat sie mit einer Mitschwester ein Buch über die Heilkraft aus dem Klostergarten geschrieben. Dabei ist es nicht nur die Tradition des jahrhundertealten Wissens auf die man sich besinnt. Auch neue medizinisch-pharmazeutische Erkenntnisse und Erfahrungen werden aufgenommen. Für die Apothekerin im Habit ist das ganz selbstverständlich. Schließlich sei die Klostermedizin schon immer eine aktuelle und lebendige Medizin gewesen.

Fotos: Bettina Hagen

Rezept zur Herstellung von Ringelblumensalbe

INFOS
Kloster Arenberg
Cherubine-Willimann-Weg 1
56077 Koblenz
Tel.: 02 61 – 6401 – 2090
www.kloster-arenberg.de